Voller Urlaubsanspruch trotz kurzfristiger Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses
Jedenfalls dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses vereinbaren und nur eine kurzfristige Unterbrechung eintritt, sind beide Arbeitsverhältnisse urlaubsrechtlich als Einheit zu betrachten.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte mit Urteil vom 20.10.2015 - 9 AZR 224/14 folgenden Fall zu entscheiden:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am Samstag den 30.06.2012. Bereits am 21.06.2012 hatten sie einen neuen Arbeitsvertrag geschlossen, der (bei einer 5-Tage-Woche) ab Montag dem 02.07.2012, gelten sollte. Der Arbeitgeber kündigte im Oktober 2012 fristlos und lehnte die Bezahlung einer Urlaubsabgeltung bezogen auf den vollen Jahresurlaub ab. Er berief sich darauf, dass das Arbeitsverhältnis wegen der Unterbrechung am 01.07.2012 noch keine 6 Monate bestanden habe.
Zu Unrecht, meinte der 9. Senat des BAG am 20.10.2015, der damit seine bisherige Rechtsprechung modifizierte.
§ 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) besagt, dass der volle Urlaubsanspruch erstmalig nach 6-monatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben wird. Scheidet der Arbeitnehmer in der 1. Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis aus, erhält er anteilig Urlaub, scheidet er in der 2. Jahreshälfte aus, steht ihm der volle Urlaub zu.
Der Urlaubsanspruch darf bei einer nur kurzen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses nicht gekürzt werden, wenn vor dem Ende des einen die Fortsetzung eines neuen Arbeitsverhältnisses feststeht und dies nach erfüllter Wartezeit in der 2. Hälfte des Kalenderjahres endet.
Primäres Ziel des Urlaubsgesetzes sei es, den Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlte Freizeit zu verwirklichen; der Urlaub solle nur in unvermeidbaren Ausnahmefällen abgegolten werden.
Würde eine nur kurzfristige Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses urlaubsrechtlich zu berücksichtigen sein, wäre der bis zum 30. Juni nicht genommene Urlaub abzugelten und mit Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses würde ein neuer urlaubsrechtlicher Zeitraum entstehen. Dies widerspräche dem Erholungsgedanken, denn die Abgeltung des Urlaubs ist weniger geeignet den Urlaubszweck zu verwirklichen als bezahlte Freizeit.
Tipp:
Scheidet der Arbeitnehmer mit offenen Urlaubsansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis aus, empfiehlt sich ein Rückblick auf frühere arbeitsvertragliche Verbindungen, damit richtig abgerechnet wird.
BAG, Urteil vom 20.10.2015 - 9 AZR 224/14
Leitsatz des BAG:
Jedenfalls dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses vereinbaren und nur eine kurzfristige Unterbrechung eintritt, sind beide Arbeitsverhältnisse urlaubsrechtlich als Einheit zu betrachten. Es entsteht deshalb ein Anspruch auf Vollurlaub, wenn das zweite Arbeitsverhältnis in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet und der Arbeitnehmer mit seiner Gesamtbeschäftigungsdauer die sechsmonatige Wartezeit des § 4 BUrlG erfüllt hat (Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG).
§ 4 BUrlG Wartezeit
Der volle Urlaubsanspruch wird erstmalig nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben.
§ 5 BUrlG Teilurlaub
(1) Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer
a) für Zeiten eines Kalenderjahres, für die er wegen Nichterfüllung der Wartezeit in diesem Kalenderjahr keinen vollen Urlaubsanspruch erwirbt;
b) wenn er vor erfüllter Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet;
c) wenn er nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
(2) Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind auf volle Urlaubstage aufzurunden.
(3) Hat der Arbeitnehmer im Falle des Absatzes 1 Buchstabe c bereits Urlaub über den ihm zustehenden Umfang hinaus erhalten, so kann das dafür gezahlte Urlaubsentgelt nicht zurückgefordert werden.