Dauerhaftes Nutzungsverbot bei Gefahrenabwehr – keine Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft

In dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH V ZR 225/20) zugrundeliegenden Fall existierten im Bereich des Gemeinschaftseigentums gravierende brandschutztechnische Mängel. Die Wohnungseigentümer beschlossen mehrheitlich, dass für die insoweit betroffenen Flächen ein Nutzungsverbot gelten sollte, welches sich sowohl auf das Gemeinschafts- als auch auf das Sondereigentum/Teileigentum des Klägers auswirkte.

Der BGH stellt klar, dass die Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung ein auf das gemeinschaftliche Eigentum bezogenes Nutzungsverbot zum Zwecke der Gefahrenabwehr grundsätzlich beschließen können. Dies kommt jedoch nur aus zwingenden Gründen und in engen Grenzen in Betracht. Grundsätzlich sind die Wohnungseigentümer verpflichtet, die Behebung gravierender baulicher Mängel des Gemeinschaftseigentums zu veranlassen, um eine Beeinträchtigung der Nutzung des Sondereigentums zu dem vereinbarten Zweck zu verhindern. Es besteht keine Möglichkeit, sich darauf zu berufen, dass die im Zusammenhang mit der Herstellung der Nutzungsmöglichkeit angesichts der damit verbundenen Kosten nicht zumutbar seien.

Damit stellt der BGH im Ergebnis klar, dass dem einzelnen Wohnungseigentümer als Ausfluss des Anspruchs ordnungsgemäßer Verwaltung unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft ein Anspruch zusteht, die Wohnungseigentumsanlage im Falle baulicher Mängel in einem den allgemeinen sowie öffentlich-rechtlichen Bestimmungen entsprechenden Zustand zu erhalten.

Dem steht auch nicht die Regelung des § 22 Abs. 4 WEG a.F. (§ 22 WEG geltende Fassung) entgegen. Die Regelung sieht vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei einer Beschädigung des Gebäudes ein Wiederaufbau nicht beschlossen oder verlangt werden könne. Der Anwendbarkeit stünde bereits der Wortlaut entgegen. Nach dem normalen Sprachgebrauch sei ein Gebäude nur dann zerstört, wenn dessen Nutzbarkeit ganz oder aber teilweise aufgehoben ist, weil die Sanierung zu hohe Kosten verursacht. Damit ist der Fall einer Nutzungsbeeinträchtigung durch bestehende bautechnische oder brandschutztechnische Mängel nicht zu vergleichen. Zudem müsse nach dem Wortlaut das Gebäude zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstört sein. Dies sei bei einem Sanierungsstau nicht darstellbar und im Übrigen nicht vergleichbar. Auch eine analoge Anwendung der Norm scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus.

Die Entscheidung des BGH ist insbesondere insofern von hoher Praxisrelevanz, da sich die Fälle mehren, in denen Wohnungseigentümer dringend gebotene Sanierungsmaßnahmen verhindern und sich damit der Gebäudezustand verschlechtert.

Nach hier vertretener Auffassung lässt sich aus der Entscheidung herauslesen, dass dem einzelnen Eigentümer auch als vorbeugende Maßnahme als Ausfluss des Anspruches auf ordnungsgemäße Verwaltung zur Vermeidung entsprechender Stilllegungsverfügungen ein notfalls mit der Beschlussersetzungsklage durchsetzbarer Anspruch auf Durchführung dringend gebotener Sanierungsmaßnahmen des Gebäudes zusteht. Es wird abzuwarten bleiben, ob und in welchem Umfang die Instanzgerichte diesen Anspruch anhand der Entscheidung als grundsätzlich gegeben erachten.


Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs – Pressemitteilung vom 15.10.2021/BGH NZM 2021, S. 935 ff.

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