Unterschreitung des Grenzabstandes, Anwendbarkeit § 22 Abs. 1 WEG

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs 06.11.2009, V ZR 73/09 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Bei der Wohnungseigentumsanlage handelte es sich um eine sog. Mehrhausanlage. Im hinteren Teil der Gesamtanlage existierte ein Hinterhaus, welches bautechnisch von den sonstigen Einheiten vollständig getrennt war. Die jeweiligen Eigentümer des Hinterhauses hatten gemäß Teilungserklärung das Recht, dieses vollständig abzureißen und neu aufzubauen und auch weitergehende Veränderungen vorzunehmen. Auf dem Nachbargrundstück befand sich ebenfalls eine Bebauung. Der Nachbar ist im Zuge beabsichtigter Umbauten an einer Unterschreitung des Grenzabstandes nach örtlichem Bauordnungsrecht interessiert. In der Eigentümerversammlung wird ein Mehrheitsbeschluss gefasst, der unter anderem vorsieht, dass der Nachbar berechtigt sein soll, die Grenzabstandsflächen im Zuge der geplanten Sanierung seines Objektes zu unterschreiten.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist der Beschluss aufzuheben. Der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 WEG sei eröffnet.

Zwar fehle eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die vorgibt, wie im Innenverhältnis der Eigentümer untereinander bei der Zustimmung der Unterschreitung der Grenzabstandsfläche nach bauordnungsrechtlichen Bestimmungen durch den Nachbarn zu verfahren ist.

Die Zustimmung zur Unterschreitung der Grenzabstandsfläche führt zwingend zu einem Heranrücken der Nachbarbebauung. Die betroffenen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft erleiden dadurch einen Nachteil im Sinne des § 14 Nr. 1 des WEG. Das Nachbargrundstück kann baulich erheblich intensiver genutzt werden. Folglich kann eine Beschlussfassung nur allstimmig erfolgen. Ein bloßer Mehrheitsbeschluss widerspricht Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.

BGH, Urteil vom 06.11.2009, V ZR 73/09- IMR 2010, Seite 21

« zurück